von Univ.-Prof. Dr. med. Dr. med. h. c. Heinz Flamm
Die ersten Infektions- oder Pest-Ordnungen in den österreichischen Erblanden, im Fürstlichen Erzstift Salzburg und im Innviertel im 16. Jahrhundert
Im Frühjahr 2000 wurde auf einer Antiquariats-Auktion in Deutschland eine bis dahin im Druck unbekannte, anonyme Pest-Schrift aus dem Jahre 1572 angeboten. Die Erwerbung dieses vorerst ungebundenen Druckwerkes veranlaßte mich, im Rahmen des Studiums der Pest-Literatur die Anfänge der Infektions- oder Pestordnungen in den österreichischen Ländern zu untersuchen. Diese lagen im 16. Jahrhundert. In den folgenden Jahren gelang es mir, durch viele Briefe und auch Reisen alle in den einschlägigen Archiven Österreichs, Südtirols, der ehemaligen österreichischen Vorlande (Schwaben, Elsaß), Sloweniens, Ungarns und Bayern vorhandenen, im 16. Jahrhundert erlassenen Infektions-Ordnungen und -Mandate im Original oder in Fotokopien zu erhalten. Die Ergebnisse wurden 2008 von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften als Buch veröffentlicht.
Die ersten nachweisbaren Infektions-Ordnungen in diesen Gebieten erschienen 1521 in Graz für „Innerösterreich“ (Steiermark, Kärnten, Krain), 1534 in Sterzing (als Fluchtort der Tiroler Regierung wegen der Pest in Innsbruck) für die „Oberösterreichischen Länder“ (Tirol mit den zugetanenen und inkorporierten Herrschaften vor dem Arl und Fern und die Vorlande), 1540 in Wien für die „Niederösterreichischen Länder“ (Österreich unter der Enns und Österreich ob der Enns) sowie 1547 im Fürstlichen Erzstift Salzburg (damals ein unabhängiges Territorium) und 1585 im damals noch bayerischen Innviertel.
Von lokalem Interesse sind die im Wiener Universitätsarchiv aufbewahrten, in lateinischer Sprache geschriebenen Acta Facultatis Medicae, die im Liber III ab Anno 1490 usq. A. 1558 die zögerliche Haltung der Fakultät gegenüber der Pestgefahr genau wiedergeben:
Im Oktober 1535 verlangte eine kaiserliche Kommission von der Fakultät, sie solle wegen der zu befürchtenden Pest Vorkehrungen überlegen. Die Fakultät erwiderte, daß es gefährlich wäre, das Volk damit zu beunruhigen und da die kalte Jahreszeit bessere Aussichten erlaubt, könne man sich einen Bericht und Ratschläge ersparen.
Nach über vier Jahren, am 22. Dezember 1539, informierte die Regierung die Fakultät, daß ein „Morbus pestiferus“ in der Stadt Wien grassiere und verlangte Vorkehrungen, durch welche diese Krankheit gehemmt werden könne, und die Beschaffung schriftlicher Anweisungen. Dazu antwortete die Fakultät der Kommission, sie verspreche dies dann zu tun, wenn die Pest innerhalb der Mauern Wiens ist.Eine Woche danach (29.12.1539) verlangte eine Regierungskommission neuerlich, die Fakultät solle nicht die Pest erwarten, sondern ohne Verzögerung Methoden zur Heilung der Krankheit beraten. Die Fakultät beschloß, daß man von der medizinischen Kunst her nichts beschreiben könne, da man bisher noch nicht festgestellt habe, ob die Krankheit durch Kontagion, üble Gerüche, Ausdünstungen oder stellaren Einfluß oder dies alles zusammen ausbricht. Zur Vorbeugung rät die Fakultät, daß Häuser und Plätze sauber gehalten und vom Geruch von Kräutern, Blüten und wohlriechenden Hölzern durchströmt werden sowie auf öffentlichen Plätzen häufig große Feuer mit guten und duftenden Hölzern angezündet werden. Dies entspräche vollkommen der Doktrin von Hippokrates. Ferner sollten die Apotheken kontrolliert werden, ob genug Medizinen gegen die Krankheit vorhanden sind. Wenn man mehr weiß, wird man eine Unterweisung in Druck geben.
Am 4. Jänner 1540 wurde die Fakultät durch zwei Regierungsanordnungen abermals zusammengerufen, welche die Publikation der verlangten Schrift und die Bildung einer gemischten Gruppe zur Untersuchung der Apotheken verlangten. Die Fakultät rüstete sich hierauf, ein Büchlein zusammenzuschreiben und stellte die Doktoren Entzianer und Fabri. Drei Tage danach wurde über die Visitationen berichtet.
Die Schrift wurde dem Wiener Stadtrat am 19. Feber 1540 vom Dekan und zwei Doktoren in einer gemeinsamen Sitzung übergeben, in der über die aktuellen Probleme der Apotheken in, wie berichtet, freundlicher Stimmung verhandelt wurde.Das überreichte Manuskript wurde „Mit Römischer.Khü.Ma.etc.Gnad vnd Priuilegien“ „Gedrukht zů Wienn in Oesterreich vnnder der Enns / durch Hannsen Syngrüener jm Jar. 1540“. Der Titel lautet: „1.5.40. Wie mañ sich zů zeiten der Pestilentz fürsehen vnd erhallten mög“. Es folgt auf der Titelseite das Zitat Hieremie.xviij, nach dem der Allmächtige bei Abwendung des Volkes von der Sünde und bei dessen Bußwilligkeit von dem als seine Strafe verhängten Übel abstehen wolle. Ein Hinweis also auf den Zorn Gottes als eine der damals geglaubten Ursachen der Krankheit.
Aber nicht der Zorn Gottes allein galt als Ursache der Pest. Immer wurden für Ausbrüche der Seuche auch „der“ böse giftige Luft, Nahrungsmittel, die in dieser Luft wachsen, Erdbeben, bestimmte Konstellationen am Himmel, Mond- und Sonnenfinsternisse, Kometen sowie mit der Pest behaftete Menschen und alles um sie herum (Menschen, Kleider, Bettzeug, Vieh) verantwortlich gemacht. Dem entsprechend wurden in fast allen Infektions-Ordnungen religiöse Handlungen an erster Stelle gefordert. Es wurde aber auch als wichtig erachtet, für Luftverbesserung durch Verbrennen gut riechender Hölzer und Kräuter und für sorgfältige Auswahl der Ernährung zu sorgen. Zur Vermeidung des Kontaktes mit Pest-Kranken flohen die Menschen, die es sich leisten konnten, aus den befallenen Orten und Städten. Die Obrigkeiten verordneten Verbote von Versammlungen und Gastmählern. Die Kranken wurden in Bruderhäusern oder Lazaretten aufgenommen oder ihren Behausungen isoliert. Für letztere Kranke wurden Ordinatoren, Ärzte, Läßl (Aderlasser), Zuträger (für das Lebensnotwendige), Auswärter (Helfer im Haus), Priester und Totengräber von der Obrigkeit bestellt. Für alle diese Personen wurden genaue Anweisungen für ihr Verhalten und ihre Arbeit festgelegt. Gelegentlich gab es auch Auflagen für gewerbliche Arbeiten und auch solche für die Umwelt der Menschen. Die in den einzelnen Gebieten verordneten Maßnahmen unterschieden sich zum Teil voneinander; sie werden im Buch im einzelnen behandelt.
Die Sprache der Infektions-Ordnungen und Mandate des 16. Jahrhunderts enthält noch sehr viele mittelhochdeutsche Worte, die z. T. noch in unseren lokalen Dialekten verwendet werden. Das Glossarium des Buches erklärt 190 solcher Begriffe.
ABBILDUNGEN:
Abb. 1. Ein nutzliche ordñg vnd regimēt wider die Pestilentz durch Doctor Hansen Saltzman. Joãnes Singriener, Wien, 1521. Titelblatt-Vorder- und -rückseite.
Abb. 2. Infektionsordnung vom 2. November 1585 Karls II. von Innerösterreich. Steiermärkisches Landesarchiv, Graz.
Erste Verwendung des aus den Venezianischen Pestgesetzen seit 1486 bekannten Begriffes der „Proveditori alla sanità“ in einer österreichischen Infektionsordnung: Dreÿ erfarne qualificierte Personen ….. welliche die Verordenntte Prouisores uber die Infections ordnung genenntt werden sollen“.
Abb. 3. Ein Arzt besucht eine Pestkranke. Holzschnitt aus Johannes de Ketham, „Fasciculus medicinae in quo continentur: ….. Quinto concilia utilissima contra epidemiam“. Giovanni e Gregorio de Gregari, Venedig, 1495.
Diese Darstellung findet man in etlichen kleinen Modifikationen in der Literatur. Der Arzt hält sich einen mit Essig getränkten Schwamm vor den Mund. Die Diener tragen Fackeln, die bei der Untersuchung vor den Mund von Patienten gehalten werden. Der eine Diener trägt ein Räuchergefäß.
Abb. 4. Umschlag der Sterzinger „Ordnung in Sterbennden Lewffen 1534“. Südtiroler Landesarchiv, Bozen.
Abb. 5. Anfang der Sterzinger „Ordnung in Sterbennden Lewffen 1534“. Südtiroler Landesarchiv, Bozen.
Abb. 6. Das Bruderhaus von Schwaz in Tirol. Titelbild des Tagungsbandes „Bergvolk und Medizin“. 3. Internationales Bergbausymposium, Schwaz 29.9.–3.10.2004. Herausgegeben von Wolfgang Ingenhaeff & Johann Bair. Berenkamp Buch – und Kunstverlag, Innsbruck – Wien, 2005.
Abb. 7. Acta Facultatis Medicae ab Anno 1490 usq. A. 1558, Universitätsarchiv Wien. Eintragung vom
4 Janüarij Ao 41: ….. Alterum fuit missum senatum in ordinare aliquos ex vostro numero, qui cum dominis doctoribus de facultate visitarant apothecas / facultas itaque ad libellum conscribendum sese arringit, ad consulandum noto de visitatione in senatu ordinant facultas ……… ex senioris duos de facultate doctores Johannes Entzianer et Udalricus Fabri qui et notarius facultatis sunt vertum in senatu die 5 Ianuarij
Abb. 8. Erste Wiener Infektions-Ordnung vom 6. April 1540. Hanns Syngrüner, Wien.
In der Einleitung die Ausrede für die erst jetzt erlassene Ordnung: „… so vnns diß jars durch die Astrologey angezaigt …“.
Angaben zum Autor:
Univ.-Prof. Dr. med. Dr. med. h. c. Heinz Flamm war 1965–1991 Vorstand des Hygiene-Instituts bzw. des klinischen Instituts für Hygiene der Universität Wien.
Bibliografische Angaben:
Heinz Flamm, Die ersten Infektions- oder Pest-Ordnungen in den österreichischen Erblanden, im Fürstlichen Erzstift Salzburg und im Innviertel im 16. Jahrhundert.
Veröffentlichung der Kommission für Geschichte der Naturwissenschaften, Mathematik und Medizin 58. Verlag der ÖÄW, Wien 2008.
80 Seiten, 34 Farb- und SW-Abbildungen, 29,7x21cm, broschiert, € 35,–
Print Edition: ISBN 978-3-7001-6064-9
Online Edition: ISBN 978-3-7001-6143-1